Inklusives Management
8 min
01.04.2025

Intersektionalität: Der Schlüssel zu nachhaltiger Inklusion in Deinem Unternehmen

Lennart Werksnis
Lennart WerksnisExpert
Intersektionalität: Der Schlüssel zu nachhaltiger Inklusion in Deinem Unternehmen

Was ist Intersektionalität? Die Grundlagen verstehen

In einer zunehmend diversen Arbeitswelt reicht es längst nicht mehr aus, Vielfalt nur oberflächlich zu betrachten. Wer heute als Unternehmen nachhaltig erfolgreich sein möchte, muss ein tieferes Verständnis von Diversität entwickeln – und hier kommt das Konzept der Intersektionalität ins Spiel.

Der Begriff der Intersektionalität kommt aus dem Englischen und verwendet die Metapher einer Straßenkreuzung ("Intersection"), an der Verkehr aus allen vier Richtungen zusammentrifft. Diese Metapher verdeutlicht, dass die verschiedenen Diversity-Dimensionen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern sich in der Realität überschneiden.

Jeder Mensch verfügt über mehrere Identitäten – sei es die nationale oder soziale Herkunft, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, das Alter, die Religion oder die psychische und physische Verfassung. Diese Identitätsmerkmale wirken nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig und können zu spezifischen Formen von Diskriminierung oder Privilegierung führen.

Das Konzept hat seine Wurzeln in den politischen Bewegungen Schwarzer Frauen und lesbischer Frauen. Bereits in den 1970er Jahren wiesen sie darauf hin, dass ihre Erfahrungen in der Vielfaltsgesellschaft nicht verallgemeinert werden können. In der US-amerikanischen Frauenbewegung stellten viele afroamerikanische Frauen fest, dass sie sich von ihr nicht vertreten fühlten. Zwar erfuhren sie aufgrund ihres Geschlechts Benachteiligung, daneben hatten sie jedoch mit weiteren Problemen wie Alltagsrassismus oder prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen zu kämpfen.

Intersektionalität vs. Diversity: Mehr als nur Vielfalt feiern

Während Diversity die Vielfalt und Unterschiede als Potenzial betrachtet, geht Intersektionalität einen Schritt weiter. Der Diversitätsbegriff impliziert zwar auch mehrere Dimensionen, beschreibt aber oft nur, dass mehrere Kategorien ineinandergreifen. Intersektionalität hingegen benennt konkret das Zusammenwirken und die Verschränkung mehrerer Diskriminierungsformen.

In vielen Unternehmen wird die Diversity-Debatte häufig auf einzelne Aspekte wie "Frauen in Führungspositionen" verengt. Das greift zu kurz, denn Diversität zeigt sich im Arbeitsleben auf sehr verschiedene Arten, und es gibt nicht einzelne Merkmale, die eindeutig und isoliert voneinander betrachtet werden können.

Ein intersektionales Diversity-Verständnis geht vom Zusammenwirken und der Verschränkung verschiedener Kategorien sozialer Ungleichheit aus. Die Kategorien werden als machtvolle Zuschreibungen innerhalb einer Differenzordnung begriffen. Dieser Ansatz kann einen kritischen Blick auf Ausgrenzung, Diskriminierung und gesellschaftliche Ungleichheit ermöglichen.

Warum ist Intersektionalität für Dein Unternehmen wichtig?

Wirtschaftliche Vorteile

Eine intersektionale Herangehensweise kann handfeste wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen. Studien zeigen, dass 76 Prozent der Befragten bevorzugen, in einer diversen Firma zu arbeiten, und ethnisch diverse Teams erzielen 35 Prozent mehr Performance. Diversität im Unternehmen und der Belegschaft ist der Schlüssel zu vielfältigen Denkweisen und unterschiedlichen Perspektiven – die Basis für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

Intersektionale Unternehmen gestalten die Definition von Erfolg neu, indem sie traditionelle Maßstäbe in Frage stellen und einen ganzheitlicheren und integrativeren Ansatz verfolgen. Anstatt sich ausschließlich auf finanzielle Gewinne zu konzentrieren, legen sie Wert auf soziale Auswirkungen, den Aufbau von Gemeinschaften und die Stärkung marginalisierter Gruppen.

Besseres Verständnis komplexer Lebenslagen

In der Sozialen Arbeit verhilft die intersektionale Perspektive dazu, die Komplexität der Lebenslagen von Adressat*innen besser zu verstehen. Dieselbe Fähigkeit ist auch im Unternehmenskontext wertvoll. Sie ermöglicht ein ganzheitliches Verständnis multipler Positionierungen und der damit verbundenen Erfahrungen von Diskriminierung und (De-)Privilegierung.

Durch das Verständnis der Intersektionalität können Unternehmen erkennen, dass Formen der Diskriminierung nicht isoliert erlebt werden. Beispielsweise kann eine schwarze Unternehmerin aufgrund ihrer Rasse und ihres Geschlechts mit Herausforderungen und Vorurteilen konfrontiert sein. Dieses Bewusstsein ermöglicht es, gezieltere und wirksamere Maßnahmen für Vielfalt und Inklusion zu entwickeln.

Inklusive Führung fördern

Intersektionalität stellt traditionelle Führungsmodelle in Frage, indem sie Empathie, aktives Zuhören und Anpassungsfähigkeit betont. Effektive Führungskräfte erkennen, dass die Erfahrungen der Mitarbeiter vielfältig sind, und erstellen Richtlinien und Praktiken, die den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden.

Eine intersektionale Führungsperspektive erkennt an, dass Einzelpersonen über mehrere Identitäten und Erfahrungen verfügen, die sich überschneiden und ihre Perspektiven und Bedürfnisse beeinflussen. Durch intersektionale Führung können Unternehmen Räume schaffen, die alle Menschen stärken, unabhängig von ihrer Rasse, ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität, ihren Fähigkeiten oder anderen sozialen Identitäten.

Herausforderungen durch fehlende intersektionale Perspektive

Die meisten Personalstrategien zur Förderung der Gleichstellung neigen dazu, jeweils nur eine Art von Vorurteil zu bekämpfen. Das liegt an der Komplexität des Themas, führt aber zu blinden Flecken.

Was passiert, wenn ein Unternehmen die Intersektionalität nicht zu einer Priorität macht? Es besteht die Gefahr, dass Inklusionsprogramme entwickelt werden, die in Wirklichkeit keine nützlichen Ergebnisse liefern. Ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen einen Wohltätigkeitslauf plant, aber keine Rücksicht auf Beschäftigte mit Behinderungen nimmt, können diese sich ausgeschlossen fühlen – trotz der guten Absichten hinter der Veranstaltung.

Implizite Vorurteile und Stereotypen können den beruflichen Aufstieg behindern. Intersektionalität veranlasst Unternehmen, diese Vorurteile direkt anzugehen. Ohne eine intersektionale Perspektive können Diversity-Maßnahmen sogar bestehende Ungleichheiten verstärken, anstatt sie abzubauen.

Intersektionalität praktisch umsetzen: Strategien für Dein Unternehmen

1. Analysiere die Unternehmensdemografie aus intersektionaler Perspektive

Berücksichtige alle vorhandenen Informationen über die Arbeitnehmer*innen aus verschiedenen Blickwinkeln. Du solltest Daten zur Verfügung haben, die ein genaues Bild von der Vertretung in Deinem Unternehmen zeichnen, einschließlich der Zusammensetzung Deines Führungsteams.

Es ist hilfreich, nicht nur den Prozentsatz einzelner Diversitätskategorien zu kennen, sondern auch zu verstehen, wie viele Deiner Beschäftigten in mehrere Kategorien fallen. Mit diesen Informationen kannst Du einen echten Plan zur Verbesserung der Situation entwickeln.

2. Vernetze Ressourcengruppen und fördere Zusammenarbeit

Bietet euer Unternehmen Ressourcengruppen für Beschäftigte an, z.B. eine Gruppe für Beschäftigte mit Behinderungen oder eine Gruppe für People of Color? Gruppen, die sich überschneiden oder miteinander verbunden sind, können zusammenarbeiten, um ihre Wirksamkeit zu maximieren.

Ermutige Deine Mitarbeiter*innen, die Gruppen nicht als getrennte Projekte, sondern als sich überschneidende Kreise zu betrachten. Diese Vernetzung kann zu innovativeren Lösungen und einem tieferen Verständnis von Überschneidungen führen.

3. Beginne in der Führungsebene

Bei der Formulierung einer intersektionalen Eingliederungsstrategie fängst Du am besten auf der obersten Ebene an. Laut einer Studie von Deloitte glauben zwei Drittel der Beschäftigten, die zu den Generationen der Millennials und der Gen Z gehören, dass Unternehmensleiter*innen "Lippenbekenntnisse" zu Initiativen für Vielfalt und Integration abgeben.

Mache Deinen Beschäftigten deutlich, dass Du intersektionelles Denken für äußerst wichtig hältst. Du solltest auch die Möglichkeit einplanen, dass die Mitglieder Deines Teams das Verhalten, das Du ihnen vorlebst, nachahmen werden. Für die intersektionelle Inklusion ist Akzeptanz erforderlich, die, wenn sie in geeigneter Weise unterstützt wird, zu einem grundlegenden Wandel in der Unternehmenskultur führen kann.

4. Überprüfe Einstellungsverfahren und Lohnunterschiede

Je mehr intersektioneller Input in die Einstellungsgespräche einfließt, desto besser. Um intersektionale Perspektiven während des Einstellungsprozesses zu fördern, ist es wichtig, dass verschiedene Stimmen am Tisch sitzen. Die Einbeziehung von Menschen mit unterversorgten Identitäten in Einstellungsgremien ist wichtig, denn sie können sich nicht nur für die Interessen der Bewerber*innen einsetzen, sondern auch eine Quelle der Bildung für alle in der Gruppe sein.

Da Intersektionalität mit Gehaltsunterschieden in Verbindung gebracht wird, musst Du die Daten in Deinem Unternehmen untersuchen, um herauszufinden, inwieweit Deine Entlohnung ein Gehaltsgefälle für Menschen mit mehreren Identitäten verursacht. Wenn es Ungleichheiten gibt, müssen sie korrigiert werden, um sicherzustellen, dass die Vergütung für alle gleich ist.

Entwicklung einer intersektionalen Haltung

Ein intersektionaler Ansatz erfordert eine bestimmte Haltung, die in Deinem Unternehmen kultiviert werden sollte:

Anti-essentialistisch und anti-diskriminierend

Der Grundgedanke der intersektionalen Herangehensweise ist unter anderem für Überlegungen relevant, wie Angebote für Diversity-Maßnahmen formuliert werden können – ohne Personen als Gruppe festzuschreiben und Stereotype zu reproduzieren. Vielmehr gilt es, im Kontext von Diversity übliche Benennungen und Kategorisierungen kritisch zu hinterfragen.

Machtkritisch und selbstreflexiv

Mit einer anti-essentialistischen Grundhaltung enthält sich ein intersektionales Verständnis dem "Feiern der bunten Vielfalt" und lenkt den Blick stattdessen auf die Entmächtigung von Menschen durch Differenzdiskurse. Da Differenzordnungen machtvoll wirken, regt ein intersektionaler Ansatz an, den Bezug auf Differenzen und Differenzkategorien machtkritisch zu reflektieren.

In der Praxis erfordert dies eine selbstreflexive Haltung gegenüber der Organisation und den Rahmenbedingungen für Diversity-Arbeit, gegenüber allen Mitarbeitenden und dem eigenen persönlichen und professionellen Handeln. Diese Haltung kann es ermöglichen, gesellschaftliche Ungleichheits- und Machtverhältnisse kritisch zu reflektieren und aktiv gegen Ausgrenzung und Diskriminierung vorzugehen.

Fazit: Intersektionalität als Schlüssel zu nachhaltiger Inklusion

Intersektionalität ermöglicht es uns, relativ klar und strukturiert über Identität und ihr Verhältnis zu Macht nachzudenken. Für Organisationen, die ihre Diversity-Maßnahmen verbessern wollen, zeigt der intersektionale Blickwinkel, wo die Hebel sind, um auf organisationaler Ebene Veränderung zu schaffen. Denn er macht sichtbar, inwiefern verschiedene Ungleichheiten miteinander verknüpft sind und für wen geplante Maßnahmen greifen werden und für wen nicht.

Ein intersektionaler Ansatz in Deinem Unternehmen kann:

  • Vielfältigeres Denken fördern und blinde Flecken aufdecken
  • Die Teamzusammenarbeit verbessern
  • Innovationskraft steigern durch die Nutzung unterschiedlicher Perspektiven
  • Zu einer inklusiven Unternehmenskultur beitragen, in der sich alle wertgeschätzt fühlen

Es reicht nicht, sich eine Dimension von Vielfalt herauszusuchen und nur diese in Dein Unternehmen zu implementieren. Deine Diversity-Strategie sollte ganzheitlich sein und die Verschränkungen verschiedener Diskriminierungsformen berücksichtigen.

Durch die Entwicklung einer intersektionalen Perspektive kannst Du Dein Unternehmen zu einem Ort machen, an dem wahre Inklusion gelebt wird – und damit nicht nur das Wohlbefinden Deiner Mitarbeitenden steigern, sondern auch den nachhaltigen Erfolg Deines Unternehmens sichern.

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